"Meine russische Schwiegermutter" - ein Roman mit den Klischees, über die Klischees und gegen die Klischees.TIPP!

Daten zum Buch: Alexandra Fröhlich: Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen; ISBN 978-3426512562, Verlag Knaur TB, Dezember 2012; 320 Seiten, Preis EUR 12.90

"Russen – stinken vor Geld, aber Manieren kann man sich nicht kaufen", " sind doch alles Verbrecher!", außerdem sind sie für "leistungssteigernde Doping bekannt" und alle russischen Frauen wollen "reich heiraten". Haben Sie Angst vor den Klischees? Alexandra Fröhlich nicht. Ganz im Gegenteil, sie hat einen großen Spaß daran, alle bekannten Stereotypen über die Russen auf ebenso hartnäckige russische Vorurteile gegen die Deutschen auf einander prallen zu lassen. Dafür lässt sie ihre Protagonistin – eine Hamburger Anwältin Paula ("kein Ausbund an Gefühlsduselei") Hals über Kopf einen charismatischen Russen ("eine leicht übertriebene Erscheinung") Artjom heiraten. Warum sich dieser "Paradiesvogel" "mit der Körperspannung eines Athleten" in die "graue Maus" mit "Nähe-Distanz-Problem" verliebt, bleibt zwar unklar, doch für solche Fragen hat der Leser keine Zeit.

Die Geschichte wird im rasenden Tempo und brillant witziger Sprache erzählt. Nur nach vier Wochen Bekanntschaft nimmt Paula den Heiratsantrag von Artjom an, ohne zu ahnen, worauf sie sich da einlässt. Allein das obligatorische Kennenlernen zwischen ihren Eltern und ihren russischen Schwiegereltern in spe, die nicht unterschiedlicher sein können, ist eine richtige Herausforderung. Geschweige denn die Hochzeitvorbereitungen, die Hochzeit selbst, ein gemeinsamer Urlaub der ganzen Familie, Einzug vom Artjom`s Opa aus der Ukraine in die Wohnung der Frischvermählten… Nebenbei wird Paula zum Geheimtipp unter russischen Mandanten, die sie ab und zu mit lebenden Hühnern bezahlen oder sich vor ihren Augen laut streiten. Die Liste der kleinen und großen Katastrophen ist lang, doch irgendwie gehen fast alle Desaster zur großen Überraschung der Protagonistin (und des Lesers) glücklich aus. Sogar der Vater von Paula, den sie selbst als "dünkelhaften Snob" bezeichnet, wird zu einem glühenden Verfechter seiner schrägen russischen Verwandtschaft: "Mit euch Russen erlebt man was", ruft er begeistert.
Auf jedem Schritt und Tritt wird Paula mit Anderssein, Andersdenken, Andersaussehen ihrer russischen Verwandten und Freunde konfrontiert. Mit bestechendem Humor und selbstironisch beschreibt sie die Hochzeitgesellschaft: "Rechts das deutsche Häuflein, im gediegen-dezenten Schick, das misstrauisch die russische Meute beäugte. Dort trugen die Herren ausnahmslos Sonnenbrillen, die Damen bestachen durch farbenfrohe und knappe Outfits, deren bloßer Anblick eine Blasenentzündung verursachte".
Ihr Mann kann nicht mal eine Gurke schneiden, ohne sich dabei in den Finger zu schneiden und hört immer auf seine Mama. Die oben besagte Mama schminkt sich wie ein Clown, trägt 12 Zentimeter hohe Lackpumps und weigert sich, Deutsch zu sprechen. Ihr Schwiegervater veranstaltet ohne ihr Wissen Geschäftstreffen in ihrer Kanzlei. Und ihre russische Sekretärin findet es normal, aus dem Urlaub zurückzukommen, wann sie das für richtig hält. Und dennoch beginnt Paula viele Dinge aus russischer Perspektive zu sehen und zu verstehen. Z.B., "dass große Gefühle die Kleinlichkeit des Alltags erträglich machten" oder "dass die Familie in der befremdlichen neuen Heimat alles war". Sogar Paulas Outfit wird russisch: hohe Absätze, Kleider statt Jeans, kräftige Farben: "Ich gefiel mir gut", sagt sie nicht ohne Stolz.
Wenn sich der Leser zwischen den Lachanfällen erholt hat, merkt er, dass ihm diese mit starkem Akzent sprechenden, komischen, laute, manchmal dubios aussehenden und nicht so eng mit der Pünktlichkeit und Ehrlichkeit nehmenden Poljakows, Lenas, Mischas, Irinas und wie sie alle heißen sympathisch werden.
"In über sechzig Jahren redliche erworbene Ressentiments schüttelte man nicht einfach über Nacht ab", schreibt Fröhlich an einer Stelle. Doch mit ihrem urkomischen Comedy- Roman schafft sie es sehr geschickt, uns den Spiegel vorzuhalten. So behauptet ihre Freundin Elisabeth abschätzend, dass alle Russinnen hinter einem reichen Mann her sind. Ein paar Zeilen davor haben wir allerdings erfahren, dass diese Elisabeth "zum zweiten Mal vermögend geschieden" ist.
Man kann nur hoffen, dass die Abenteuer dieser ungleichen deutsch-russischen Ehe eine Fortsetzung finden.
(Daria Boll-Palievskaya)
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