Verhalten und Umgangsformen – ein erster Überblick
Die Leute in Russland sind wie in der ganzen Welt.
Natürlich gibt es Unterschiede in Mentalität und Angewohnheiten.
Wenn man zum ersten Mal nach Russland kommt, ist das erste, was einen schockiert, die russische Sprache.

Mit der Öffnung Russlands gegenüber dem Westen und der Reisefreiheit
sind Berührungspunkte mit Fremden größer geworden und das
Interesse an der ausländischen Lebensweise gestiegen.
Aufgrund starker westeuropäischer Einflüsse über Jahrhunderte finden sich zudem
viele kulturelle Gemeinsamkeiten. Im Umgang miteinander gelten europäische Höflichkeitsregeln
der Anrede und Begrüßung mit der Ausnahme,
dass Frauen üblicherweise nicht die Hand gereicht wird.
Auf gute Umgangsformen wird ebenso Wert gelegt wie auf eine gepflegte äußere Erscheinung.
Inwiefern unterscheidet sich "typisch" russisches Verhalten von "typisch" Deutschem?
Die Beantwortung dieser Frage birgt das Risiko, in Verallgemeinerungen zu verfallen und Stereotype
auf Menschen anzuwenden, die - wie in jeder Kultur - ausgeprägte Individuen sind.
Dennoch soll im Folgenden kurz von einigen kulturellen Besonderheiten die Rede sein,
die im Vergleich zu Deutschland auffallen: Als Westeuropäer schwankt man zwischen Bewunderung und
Unverständnis für die Schicksalsergebenheit der Russen.
Selbst während der letzten drastischen Wirtschaftskrise 1998 gingen die Leute nicht zum
Demonstrieren auf die Straße, sondern um durch stundenlanges Schlangestehen vor Banken ihre Ersparnisse zu retten.
Mit gewissem Stolz wurde beteuert, auch diese Krise zu überleben wie schon so viele
Krisen in der jüngsten Vergangenheit. Die Schuld für schlechte Lebensumstände
sucht man beim anonymen Dritten, z. B. dem Staat oder ausländischen Regierungen.
So groß das Misstrauen gegenüber bestehenden Systemen ist (z. B. Behörden, Bürokratien) so groß ist das Vertrauen auf ein Geflecht persönlicher Beziehungen. Dies ist in der Tatsache begründet, dass ein Überleben nur möglich ist, wenn die Gemeinschaft funktioniert. Wichtig ist, jemanden zu kennen, der Verbindungen hat, sei es um eine Wohnung, ein Telefon oder einen Reisepass zu bekommen. Die Bereitwilligkeit, um einen Gefallen zu bitten oder einen zu gewähren, liegt wesentlich höher. Auch im Geschäftsleben lebt der Erfolg weniger vom Umgang auf sachlicher Ebene als vom guten persönlichen Kontakt. Ausgeprägt ist das Gemeinschaftsgefühl in Familie und am Arbeitsplatz. Ein gutes Arbeitsklima unter Kollegen genießt einen höheren Stellenwert als z. B. die Ausstattung des Arbeitsplatzes. Fester Zusammenhalt in der Familie ermöglicht die hohe Berufstätigkeitsquote bei Frauen, während sich ein Heer von Großmüttern der Kindererziehung widmet.
Ausgeprägter als in Westeuropa ist die Akzeptanz von Macht und der Autoritätsglaube vielfach verbunden mit dem Wunsch nach einer starken Führung, die das Individuum von der Pflicht befreit, Verantwortung oder Eigeninitiative übernehmen zu müssen. Eine Amtsperson wird respektiert, ganz gleich wie rüde und schikanös sie im Umgangston sein mag. Für den Ausländer ist die selbständige Erledigung von Amtsgeschäften im Bürokratiendschungel ungeklärter Zuständigkeiten, nicht vorhandener Formulare und ständiger Gesetzesänderungen ohne russische Hilfe fast unmöglich. Ein russisches Charakteristikum ist ferner der Mangel an Entscheidungsfreiheit, bzw. die Unwilligkeit zu delegieren. Selbst relativ unwichtige Entscheidungen trifft grundsätzlich nur der Chef ("Natschalnik"). Das bedeutet, dass jeder Russe, der eine Entscheidung benötigt, versucht, mit allen Mitteln an den "Natschalnik", oder denjenigen, den er dafür hält, heranzukommen und sich nicht damit aufhält, dessen Mitarbeitern sein Problem zu erläutern, auch wenn diese es sehr wohl lösen könnten. Umgekehrt bedeutet dies, dass sich der russische "Natschalnik" mit allen Mitteln abschirmen lässt und seine Mitarbeiter rigide daraufhin verpflichtet.
Ein typisch russischer Charakterzug mag die hohe Emotionalität sein, die das nüchterne westeuropäische Gegenüber leicht als Dramatisierung erlebt. Probleme und Begebenheiten im positiven wie im negativen werden gefühlsbetont geschildert. Ebenso groß wie die Bereitschaft zur Schwarzmalerei ist der unverrückbare Glaube, dass sich in Zukunft alles zum Besseren wendet. Sprichwörtlich ist die russische Unentschlossenheit. Pläne werden schnell gemacht und verworfen und mit Selbstironie hingenommen, wenn ein Vorhaben fehlgeschlagen ist.
Problematisch erleben besonders Deutsche russisches Zeitverständnis. "Sofort", "gleich" und "bald" sind dehnbare Begriffe, die eine Zeitspanne von Minuten bis Monaten umfassen können, und Pünktlichkeit ist nicht unbedingt eine russische Tugend. Dafür ist die Bereitschaft größer, sich Zeit zu nehmen. Der ungeduldige Blick auf die Uhr ist verpönt.
Unbestreitbar ist ein Hang zu Mystizismus und
Aberglaube, der bei vielen Russen unabhängig von Bildung und gesellschaftlicher Stellung tief verwurzelt ist. Die gängigen Vorboten von Glück und Unglück werden russische Bekannte und Kollegen dem interessierten Ausländer gerne vermitteln.
(Mehr über Aberglauben lesen Sie im Artikel
"Sind Russen abergläubisch?" in der Rubrik Russische Box.)
Ein Abend in russischer Gesellschaft mit berstenden Tischen, immer gefüllten Gläsern, Trinksprüchen und Musik gehört zu den nachhaltigen Erlebnissen der sprichwörtlichen Gastfreundschaft und Warmherzigkeit.
Die generelle Anredeform in Deutschland ist "Herr" oder "Frau". In Russland sprechen sich die Menschen in der Regel mit dem Vornamen an. Bei erstem Kontakt wird aus Höflichkeit der Ansprechpartner gesiezt, allerdings wird ein Russe nach kurzer Zeit das "Du" anbieten. Vorgesetzte, Beamte und Lehrer werden jedoch immer gesiezt.
Ist jemand älter als Sie, sprechen Sie ihn mit "Sie" an. Manchmal wird sogar der Name Vaters dazu genommen (Name + Name des Vaters - Beispiel: Leonid Alexandrovitsch, das bedeutet Leonid Sohn von Alexander).
Sprechen sie Ihr Gegenüber immer erst mit dem Nachnamen an, bevor Sie das "Du" angeboten bekommen.
Lernen Sie jemanden neu kennen, erwidern Sie die gleiche Anrede (Beispiel: Mein Name ist Sergej, dann erwidert ihr Gegenüber auch den Vornamen. Falls der neue Bekannte sich mit dem Nachnamen vorstellt, stellen Sie sich auch mit Ihrem Nachnamen vor). Ganz wichtig ist zudem der Handschlag.
In Russland wird oft nach Hause eingeladen. Aber auch jemanden ohne Verabredung (auch ohne Anruf) zu besuchen ist ganz üblich.
Wenn sie in Russland in eine private Wohnung eingeladen werden, werden im Flur die Straßenschuhe ausgezogen.
Der Gastgeber bietet Ihnen im Gegenzug Hausschuhe an.
(Siehe auch Erklärungen in der Rubrik "Erste Wörter" -
"Zu Besuch".)
Wollen Sie etwas mitbringen: eine Flasche Wein oder Wodka reichen. Bei Frauen kommt immer eine Packung Pralinen gut an oder auch Blumen.
Hier spielt die Anzahl der Blumen eine große Rolle. Eine gerade Anzahl von Blumen schenkt man nur zu einem traurigen Anlass (Todesfall etc.). Eine ungerade Anzahl von Blumen zu einem freudigen Ereignis.
(geschrieben von Leo)
Lesen Sie auch in der Rubrik Russische Box:
In der Rubrik "Erste Wörter" - Wörter und Erklärungen:
Weitere Wendungen zum Thema "Sich vorstellen" und "Leute vorstellen" mit Beispielen,
Erklärungen und Übungen finden Sie auch in der
Lektion 1 und
Lektion 2.
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